FBI-Geschichte: J. Edgar Hoovers brutales Imperium der Paranoia - WELT (2024)

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"Mir ist egal, wer unter mir Präsident ist." Das ist kein verbürgtes Zitat von J. Edgar Hoover, dem Mann, der 48 Jahre lang, von 1924 bis 1972, das FBI und dessen Vorgängerorganisation leitete und dabei acht Präsidenten überlebte. Dass man nicht weiß, ob er es gesagt hat, ist gerade der Punkt.

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Hoovers Amerika – das synonym geworden ist mit politischer Geradlinigkeit und Verteidigung demokratischer Werte – bestand aus Geheimniskrämerei und Paranoia. In so einer Atmosphäre gilt: Wahr ist, was wahr sein könnte. Und das ist meist so bizarr, dass es jede Vorstellung übersteigt.

Die Kennedys hassten Hoover

Wer hätte für möglich gehalten, dass zwei Präsidenten, Eisenhower und John F. Kennedy , Pläne schmiedeten, Fidel Castro mithilfe der Mafia aus dem Weg zu räumen? Und doch stimmt es. Tim Weiner , ehemaliger "New York Times"-Reporter und Pulitzer-Preisträger, hat es für sein schlicht "FBI" betiteltes Buch recherchiert, das die 100-jährige Geschichte des Nachrichtendienstes aufblättert.

Aus den Attentatsplänen wurde nichts. Sie mehrten bloß die Macht Hoovers, von dem Weiner sagt: "Die Institution und der Mann waren ein- und dasselbe. Sie war seine Frau und seine Geliebte." Sonst gab es auch keine Frauen in seinem Leben, abgesehen von seiner Mutter, bei der er lebte, bis sie starb. Da war er Anfang 40 und längst der womöglich mächtigste Mann der Welt.

In seiner Position wurde Hoover selbst für die Kennedys unantastbar, und die hassten Hoover im Gegensatz zu den meisten ihrer Vorgänger und Nachfolger wirklich. Deshalb, und weil Hoover auf einer brisanten Akte saß, in der die viele Jahre zurückliegende Liaison zwischen dem jungen JFK und dem Nazispitzel Inga Arvad festgehalten war. Ein FBI-Agent hatte das Techtelmechtel der beiden auf einem Luftwaffenstützpunkt in den Südstaaten belauscht.

Hoovers Methode, sich an der Macht zu halten, trug Züge der übelsten Klatschpresse. Er war nur verschwiegener, scheute jedoch vor Erpressung nie zurück. "Fälle, in denen Geld, Sex und Politik miteinander verknüpft waren", schreibt Weiner, "stufte Hoover nur sehr selten in die Kategorie Strafverfolgung ein. Für ihn waren das geheimdienstliche Angelegenheiten, solche Vorgänge bekamen nur er selbst und der Präsident zu Gesicht." Und der Justizminister, dem Hoovers Behörde seit ihrer Neugründung Mitte der Dreißiger allein unterstellt war.

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In der kurzen Ära der Kennedys war das Robert, genannt Bobby, der Bruder des Präsidenten. Er und Hoover gerieten rasch aneinander, weil Bobby Kennedy wenig hielt von der verdrucksten Brutalität seines Geheimdienstchefs und von seinen Methoden, weitab der Legalität Amerikaner bis hoch zum Supreme Court und zum Präsidenten abzuhören, zu beschatten und darüber Dossiers anzulegen.

Am meisten gingen ihre Ansichten in der Frage auseinander, wer die größte Bedrohung der USA darstellte, die Mafia oder die Kommunisten. Für Hoover war der Fall klar. Er hatte nichts gegen die Mafia. Denn er hatte verstanden, dass Gangster gute amerikanische Spießer waren, mit einer unkonventionellen Methode, zu Geld und Einfluss zu gelangen. Im Gegensatz zu den Kommunisten lag ihnen nichts daran, das bestehende System zu stürzen.

Ruhm bedeutete Hoover alles

Und spätestens seit seinem Studentenjob in Washington (das er in seinem Leben kaum je verließ), der daraus bestand, ein Katalogsystem für die Library of Congress, die größte Bibliothek der Welt, zu entwerfen, liebte Hoover bestehende Systeme.

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Die Zeitungen und die Mafia machten Hoover vollends unantastbar. Dafür mussten ein paar Gangster über die Klinge springen: John Dillinger, Alvin Karpis, Machine Gun Kelly, hießen die berühmtesten. Hoover versetzte den Agenten Melvin Purvis, der Dillinger gefasst hatte und sich nun damit brüstete, auf einen Schreibtischjob. Niemand anderes sollte den Ruhm einstreichen als er selbst.

Sein Aufstieg beginnt 1919. Da ist er Anfang zwanzig und nach seinem Jura-Studium Assistent des Justizministers Alexander Palmer. Eine Bombenserie, angezettelt von Anarchisten und Kommunisten, erschüttert das Land. Hoover arbeitet unermüdlich, tut sich bei den sogenannten Palmer-Razzien hervor, einer kaum legitimierten systematischen Einschüchterung, Internierung und Ausweisung Tausender Menschen. Allein in einer Nacht im Januar 1920 werden 4000 Personen festgenommen, alle Ausländer ausgewiesen.

Mit 29 wurde Hoover Geheimdienstchef

Die Agenten sind gnadenlos brutal; bei den Razzien schlagen sie viele Menschen, die auf der von Hoover ermittelten, 150.000 Personen umfassenden ?Liste stehen, zu Krüppeln. Die Öffentlichkeit ist begeistert. Das Bundesgericht weniger. Es vernimmt die Verantwortlichen, darunter Henry J. Skeffington, den Bostoner Einwanderungsbeauftragten. Weiner hat den Dialog aufgeschrieben.

Er enthält das Prinzip Hoover in nuce: Auf die Frage, ob er eine Bestimmung nennen könne, die die Justizbeamten ?ermächtigte, Verhaftungen durchzuführen, antwortet Skeffington: "Nein, darüber weiß ich nichts." Woher seine Anweisungen dann stammten. "Wir hatten eine Übereinkunft." Schriftlich? "Nein. Es gab eine Beratung in Washington mit Mr. Hoover." Wer das bitte schön sei. "Mr. Hoover ist ein Beamter im Justizministerium."

Wer ist Mr. Hoover? Jeder kann nachlesen, dass er fünf Jahre später, mit 29, Geheimdienstchef wurde – ein Amt, das er erst abgab, als er mit 77 Jahren im Schlaf einem Herzinfarkt erlag. Mitte der 30er – beflügelt von der allgegenwärtigen Angst vor Hitler, Stalin und ihren Agenten, die Hoover nach Kräften schürte – rang er Präsident Franklin D. Roosevelt weitreichende Ermächtigungen ab – Waffen zu tragen, Festnahmen durchzuführen, bundesweit zu ermitteln. Das FBI war geboren. Doch wer ist der Mann hinter den Fakten?

Tim Weiner humpelt durch sein Zimmer im "Frankfurter Hof", dem schönsten Hotel der Stadt, in der sein deutscher Verlag S. Fischer ansässig ist. Bei einer Wanderung in Vermont – gedacht als Erholung während des Redigierens der Fahnen zu seinem knapp 700-seitigen Buch, das dank vier Übersetzern in Deutschland und Amerika zur selben Zeit herauskommt – hat er sich das Knie angeknackst. Womöglich ein Attentat des FBI? Weiner lächelt gequält. "Die machen so was nicht. Haben Journalisten immer nur für die eigenen Zwecke eingesetzt."

Tim Weiner, ein vierschrötiger Mann im grauen Anzug, mag keine Spekulationen. Seit den frühen 90ern arbeitet er für die "Times", zuerst als Mexiko-Korrespondent, dann als Korrespondent für die Nationale Sicherheit in Washington. Sein 2007 erschienenes Buch über die CIA – mit dem FBI-Buch und dem nächsten, das vom Pentagon handeln wird, soll es eine Trilogie bilden – brachte ihm den National Book Award ein.

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Er hasst den Film, den eine andere Legende des amerikanischen 20. Jahrhunderts gerade über Hoover gedreht hat: Clint Eastwoods "J. Edgar" , der zurzeit in den deutschen Kinos läuft. "Er reduziert Hoover auf eine verdrängte hom*osexualität. Dafür gibt es keinen Beweis. Außerdem ist es lächerlich."

"Hoover hasste Schwule"

Im Film hält Leonardo DiCaprio als Hoover Händchen mit seinem Assistenten Clyde Tolson. Als der ihn küsst, schlägt DiCaprio ihm ins Gesicht. Tolson läuft weinend davon. DiCaprios Hoover murmelt: "I love you.""Die Wahrheit ist", sagt Weiner. "Hoover hasste Schwule. Er hasste keine Menschen, sondern Ideen. Das Zentrum seines Hasses ist der Kommunismus."

Und auffällig viele enttarnte russische Agenten waren schwul. Seither waren die beiden Ideen in Hoovers Kopf verknüpft. Als Metapher schwirrte die Verbindung schon länger herum. Roosevelts mündlich gegebener Freibrief, Kommunisten zu jagen, der die Doktrin wurde, auf die sich Hoovers Aktivitäten in den Folgejahrzehnten gründeten, lautete: "You go right ahead and investigate the co*cksuckers!" Observiere die Schwanzlutscher. Nachdem Nixon Hoover als einen Giganten der Nation gewürdigt hatte, sagte er: "Der alte Schwanzlutscher."

Nach Hoover ging es mit dem FBI bergab: Watergate, der Spion Robert Hanssen, der zwischen 1980 und 2001 sämtliche Geheimnisse der Behörde an die Russen verriet, der Elfte September . Schwer zu sagen, was gewesen wäre, wäre Hoover unsterblich gewesen. Klar ist für Weiner nur eines: "Das prekäre Gleichgewicht zwischen Freiheit und Sicherheit war in den USA niemals stabiler als jetzt, unter Geheimdienstchef Robert Mueller III und Präsident Obama." Beide fühlen sich dem Gesetz verpflichtet. Das ist laut Weiner neu. Für Präsidenten und für FBI-Direktoren.

Tim Weiner: FBI. Die wahre Geschichte einer legendären Organisation. (S . Fischer, 704 Seiten, 19,99 Euro ISBN: 978-3100910714)

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